Psychische Erkrankung: ist das noch normal?


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Oft genug höre ich von Freund:innen, Klient:innen, wie auch von Patient:innen die Frage: Ist das noch normal? Bin ich verrückt?

Diese Frage hängt eng zusammen mit der Frage „was ist Gesundheit“. Die WHO definiert Gesundheit als Wohlbefinden, damit ist also nicht nur die Abwesenheit von Krankheit gemeint. Will man die Frage „bin ich psychisch krank“ beantworten, ist also die Frage „wie ist mein Wohlbefinden“ von enormer Bedeutung. Der erste Hinweis auf eine psychische Erkrankung ist also die Erkenntnis: so wie es gerade ist, geht es mir nicht gut, ich fühle mich nicht wohl.

Das ist natürlich nicht alles, was es braucht um eine psychische Erkrankung zu diagnostizieren. Zur Definition einer psychischen Erkrankung gehört eine Einschränkung der Funktion oder ein Leidensdruck. Das heißt, ab dem Zeitpunkt, wo Sie sagen: „Ich leide darunter, dass es so ist“ oder „dieser Zustand hindert mich daran, am täglichen Leben so teilzuhaben wie alle anderen/ wie vorher“, sprechen wir von einer psychischen Erkrankung.

Was ist eigentlich normal?

In diesem Zusammenhang sollte auch nochmal erwähnt werden: wenn wir von „normal“ sprechen, meinen wir „der Norm entsprechend“. Die Norm wiederum ergibt sich aus dem Durchschnitt dessen, was Ihre Mitmenschen (ohne psychische Erkrankung) an Wahrnehmung, Verhalten oder Erleben zeigen. Es müsste also heißen: „ist das noch im Durchschnitt“? Und selbst, wenn Sie diese Frage nicht mit einem klaren Ja beantworten können: zu einer psychischen Erkrankung gehört noch mehr als nicht durchschnittlich zu sein (Leidensdruck oder Funktionseinschränkung). Wer also ein wenig aus dem Durchschnitt fällt, ist noch lange nicht krank. Vielleicht hilft Ihnen dieser Gedanke nicht nur für die Einschätzung der eigenen Gesundheit, sondern auch für Toleranz gegenüber exzentrischen oder besonderen Mitmenschen.

Ausnahmesituation Pandemie

Sie haben es vielleicht gelesen, Psychotherapeut:innen haben in der Pandemie 40% mehr Anfragen (bei Erwachsenen, bei Kindern sogar 60% mehr) verzeichnet (Statistik der DPtV). Diese erschreckende Steigerung der Nachfrage zeigt sehr deutlich, dass außergewöhnliche Belastungen in Kombination mit dem Wegfall verschiedenster Ressourcen und Möglichkeiten des Ausgleichs die Psyche belasten. Es zeigt sich, dass wir im Falle einer psychischen Erkrankung von einem seelischen Ungleichgewicht sprechen. Wie psychische Erkrankungen entstehen, erkläre ich hier ausführlicher.

Die leider oft vorherrschende Denkweise „psychisch Erkrankte sind einfach nur schwach“ ist also völlig absurd. Mit wie viel Vorbelastung wir ins Leben starten ist genauso wie unser Geburtsort und unsere Kindheit pures Glück (oder eben Pech). Daran kann niemand etwas ändern. Auch an vielen Belastungen können wir nichts ändern. Jemandem vorzuwerfen, dass er/sie z.B. in schwierige Verhältnisse geboren wurde und deshalb schwach sei, ist schlichtweg unlogisch. Es ist außerdem bei der Bewältigung dieser Erkrankung eher hinderlich, da wir unser seelisches Gleichgewicht wiederherstellen müssen. Und das gelingt uns indem wir auf unsere Bedürfnisse achten. Häufig müssen wir uns hierfür eine innere Erlaubnis geben, was sehr viel schwerer fallen wird, wenn das oben beschriebene Denken vorherrscht.

Mitgefühl in Zeiten der Pandemie

Daher an dieser Stelle ein Plädoyer: Unterstützen Sie Menschen in Ihrer Umgebung gerade in so schweren Zeiten darin, auf ihre Bedürfnisse zu achten und haben Sie auch etwas Mitgefühl mit sich selbst. Wir müssen derzeit alle auf unsere seelische Gesundheit achten und das fällt am leichtesten, wenn wir es ohne Druck und mit viel Verständnis angehen.


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