Warum Freundschaften in Zeiten zunehmender Unverbindlichkeit in Beziehungen immer wichtiger werden


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Der Wert der Freundschaft

Vor allem in der Zeit digitaler Freundschaften ist die Verfügbarkeit von Freunden so umfassend, dass diese oft weniger geschätzt werden als Beziehungen.

Der Wert einer stabilen und haltgebenden Freundschaft wird daher oft unterschätzt. Meist hat die Suche nach einem geeigneten Partner/in Priorität, die Freunde werden vernachlässigt oder sind ständig damit konfrontiert, dass die suchende Person sich einsam und „ganz allein“ fühlt. Dass das für die Leute verletzend sein kann, die ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit der Person auf Partnersuche widmen, wird dabei selten bedacht.

Dabei geht es bei solchen Aussagen eigentlich um den Unterschied zwischen einsam und allein. Einsamkeit beschreibt ein Gefühl. Dahinter steht das Bedürfnis nach Nähe, Zuneigung, Bindung. Allein sein beschreibt einen Zustand und würde bedeuten, dass es im Leben dieser Person tatsächlich niemanden gibt. Allein die Tatsache, dass die Person jedoch jemanden hat, demgegenüber sie äußern kann, „allein“ zu sein, widerlegt diese Tatsache ja. Wir sehen nur eben nicht, dass gerade jemand da ist, der das Gefühl der Einsamkeit mit uns aushält.


Einsamkeit beschreibt ein Gefühl, hinter dem das Bedürfnis nach Bindung steht. „Ich bin allein“ ist eine Zustandsbeschreibung, die uns häufig vom Gefühl der Einsamkeit vorgegaukelt wird, aber selten der Realität entspricht.


Mit der Aussage „ich bin ganz allein“ oder „keiner will mich“ wird also der Wert der Freundschaft untergraben. Die Mühe der Freundin oder des Freundes, mich nicht allein zu lassen, mir beizustehen in meiner Einsamkeit und Suche nach Nähe, die Zuneigung, die ich für diese Person aufbringe und die Zeit, die ich ihr widme, all das zählt nicht. Häufig ist die Freundin oder der Freund dann gekränkt, zieht sich zurück. Bei der suchenden Person entsteht jedoch selten die Einsicht, weshalb ein Rückzug stattfindet, sie erkennt nur, dass sie nun „noch mehr allein“ ist und versinkt im Gefühl der Einsamkeit ohne zu verstehen, dass sie selbst daran Anteil hat.

Das Gute daran, an etwas Anteil zu haben ist: wir haben die Chance, es zu verändern! Statt der Freundin also zu erzählen, wie allein man ist, könnte man sich beim nächsten gemeinsamen Kaffee darauf konzentrieren, die Beziehung zur Freundin zu verbessern. Auch wenn es aktuell keinen Partner/ keine Partnerin im eigenen Leben gibt, so hat man doch Menschen in seinem Leben, die einem gerne Zeit und Aufmerksamkeit schenken. Ähnlich wie in einer romantischen Beziehung, muss eine Freundschaft gepflegt und wertgeschätzt werden. Zudem hat man in einer Freundschaft die Chance, die eigene Art, Beziehungen zu führen, kritisch zu hinterfragen.

Sie ist also eine gute Chance, Beziehungen zu üben und zu lernen, wie man nicht nur nimmt, sondern auch gibt. Oder anders herum!

Zudem kann es durchaus gefährlich sein, das eigene Leben allein auf der Beziehung zum Partner aufzubauen. Die Glücksforschung zeigt: je mehr potentielle Sinnquellen wir in unserem Leben haben, desto höher die eigene Zufriedenheit. Mit anderen Worten: einen Tempel auf nur einer Säule aufzubauen kann sehr lange gut gehen, ist aber langfristig äußerst riskant.

Freundschaft über die Zeit

Ähnlich wie die Beziehung zu uns selbst sich über das Leben verändert, ändert sich auch unsere Sicht auf und unser Umgang mit Freundschaften. Manche Freundschaften wachsen mit, andere verlieren sich, wieder andere verändern sich. Das ist etwas ganz normales, denn man selbst verändert sich ja auch und manchmal entwickelt man sich schneller als die Umgebung, manchmal verlegt man seinen Lebensmittelpunkt an einen anderen Ort, manchmal geht der andere und oft befindet man sich in unterschiedlichen Lebensphasen.

Jeder hat daher schon Freundschaften erlebt, die plötzlich beendet wurden, die sich über die Zeit verlieren, in denen man sich mal näher ist und mal fremder und solche, die irgendwie mitwachsen.

Ein sehr schönes Beispiel für eine Freundschaft, die über die Zeit gehalten hat, erlebe ich immer wieder im Gespräch mit meiner Großmutter. Ihre Familie musste im Krieg fliehen und fand Unterschlupf bei einer Familie, deren Tochter fortan eine ihrer besten Freundinnen wurde.

Gemeinsam lernten die beiden ihre späteren Ehemänner kennen, hatten mal mehr, mal weniger engen Kontakt, blieben aber all die Jahre befreundet.

Uneinigkeiten gab es schon, aber beiden war der Wert ihrer Freundschaft immer schon so bewusst, dass es nie zur Trennung kam. Heute sind beide verwitwet, treffen sich noch immer jeden Sonntag im Café (oder telefonieren) und feiern inzwischen über 60 Jahre Freundschaft.

Diese Freundschaft verdeutlicht finde ich zwei Dinge: Erstens heißt Freundschaft Beziehung führen, ist also nicht zu unterschätzende Arbeit, aber auch nicht zu unterschätzende Stütze. Und zweitens heißt Freundschaft Beziehung führen und dazu gehören zwei. Nicht immer sind beide gleich involviert und häufig genug (wie in einer romantischen Beziehung auch) kommt es zur Entfremdung oder Trennung. Es gibt auch hier keine Garantie dafür, dass eine Freundschaft ein Leben lang hält. Man kann nur seinen Teil dazu beitragen, die Freundschaft wertschätzen und das dem Gegenüber wie in jeder romantischen Beziehung auch zeigen. Trotz allem kann man aber nur die eine Hälfte des Weges gehen. Manchmal wächst das Gegenüber aus einer Freundschaft heraus, bleibt stehen oder vergisst, sie wertzuschätzen. Dann ist es ratsam, sich selbst zu schützen, sich aus der Beziehung zurückzuziehen und den Fokus auf andere Freundschaften zu richten.

Freundschaftliche Trennung

Anders als romantische Beziehungen hat man beim Eingehen einer Freundschaft selten die Sorge um eine Trennung. Freunde sollen einen durchs ganze Leben begleiten, so zumindest die Hoffnung. In der Realität gibt es aber auch in Freundschaften Trennungen und häufig schmerzen diese fast mehr als in einer Partnerschaft. Vor allem in den Situationen, in denen das Ende einer Freundschaft uns unvorbereitet trifft oder noch sehr lange schmerzt. Das ist hauptsächlich so, weil wir uns oft nicht zugestehen, das Ende einer Freundschaft so zu sehen wie das Ende einer Partnerschaft. Es ist und bleibt aber eine Beziehung, die wir eingehen, es sind Gefühle involviert und wenn wir diese beenden, schmerzt das.

In solchen Fällen ist es sehr hilfreich, die eigenen Gefühle ernst zu nehmen und sich die Zeit zum Trauern zu geben. Auch mit anderen Freundinnen oder Freunden darüber zu sprechen, sich zu entlasten, dem Partner oder der Partnerin anzuvertrauen oder sich professionelle Unterstützung zu holen, sind Möglichkeiten damit umzugehen.

Das Trauern ist gleichzeitig eine Form der Wertschätzung für die Beziehung. Weil es eine so enge Verbindung gab und diese nun fehlt, bleibt ein großes Loch zurück und das schmerzt. Heilen kann es nur, wenn wir diese Beziehung als etwas anerkennen, dass uns wichtig war und uns um uns kümmern. Wie das genau aussieht, ist individuell. Jeder trauert anders.


Trauern ist eine Form der Wertschätzung für eine Beziehung.


Manchmal ist es auch deshalb so schwierig, einen Trauerprozess zu starten, weil das Ende so plötzlich kam, uns unverständlich ist. In diesen Fällen kann es sehr hilfreich sein, nochmal das Gespräch mit der Person zu suchen und für sich selbst zu klären, wie es dazu kommen konnte, dass man die Beziehung so unterschiedlich eingeschätzt hat. Auch wenn sie sehr verletzend sein können, lernen wir doch aus solchen Situationen viel für andere Beziehungen.

Wichtig ist, dass man sich am Ende ernst genommen hat in seinem Schmerz, die Leere und Einsamkeit überwindet und irgendwann wieder offen ist für eine neue Freundschaft oder dafür, anderen Freundschaften wieder mehr Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen. Es geht also darum, die Wolken zu sehen und ernst zu nehmen, aber mit dem Wissen, dass die Sonne dahinter nicht für immer verschwunden ist, sondern nur von den Wolken verdeckt wird. Und irgendwann werden sich die Wolken verziehen. Und im besten Fall hat man dann noch etwas für sich gelernt.


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